Onco:cide - Unterstützung der Entscheidungsfähigkeit in onkologischen Grenzsituationen. Entwicklung und Pilotierung einer multimodalen Intervention für vulnerable Patienten

Motivation

Neben der medizinischen Indikation sind die freiwillige Zustimmung nach vorheriger umfassender Aufklärung (Informed Consent) grundlegende ethische und rechtliche Voraussetzungen für die Behandlung oder Versorgung im Gesundheitswesen. Im klinischen Alltag treten immer wieder Situationen auf, in denen unklar ist, ob die Anforderungen an einen gültigen Informed Consent basierend auf verständlichen Informationen, welche der Unterstützung der Entscheidungsfähigkeit von Patient*innen dienen, erfüllt werden. In der Onkologie stellt diesbezüglich zum einen die Komplexität medizinischer Informationen eine Herausforderung dar. Dies gilt insbesondere in klinischen Grenzsituationen, in denen auf der Grundlage umfassender und verständlicher Informationen gemeinsam mit Patient*innen entschieden werden muss, ob eine (weitere) tumorspezifische Therapie durchgeführt werden soll. Zum anderen stellen soziale und psychisch-emotionale Belastungen von Tumorpatient*innen erhöhte Anforderungen an die Aufbereitung von Informationen, um diese für die Patient*innen verständlich zu gestalten.

Untersuchungen zur Unterstützung der Entscheidungsfähigkeit von Menschen mit Lernschwierigkeiten sowie Forschungsergebnisse zur Verbesserung der Patient*innenaufklärung über onkologische Studien deuten darauf hin, dass die Entscheidungsfähigkeit von Patient*innen durch Anpassungen der medizinischen Aufklärungsbögen und ergänzende Unterstützungsmaßnahmen verbessert werden kann. Bisher ist allerdings noch offen, ob solche Interventionen effektiv in die alltägliche onkologische Handlungspraxis in Deutschland integriert und auf vulnerable Patient*innengruppen übertragen werden können. Zudem fehlen angewandte ethische und rechtliche Untersuchungen zur Legitimierung etwaiger Änderungen der derzeitigen Aufklärungspraxis.

Ziele

Ziele des Verbundvorhabens sind die Entwicklung und Pilotierung einer rechtssicheren und praktikablen, zielgruppenspezifischen multimodalen Intervention zur Verbesserung der Entscheidungsfähigkeit von Patient*innen mit fortgeschrittenem Bronchial-, Leber- oder Speiseröhrenkrebs.

Methodik

Die Studie ist im Sinne des Frameworks für komplexe Interventionen des Medical Research Council als Entwicklungs- und Machbarkeitsstudie zu charakterisieren. Zur Entwicklung der Intervention werden unter partizipativer Einbindung  von PatientInnen und Angehörigen 1) ein Realist Review zu kontextbezogenen (Wirk-)Mechanismen im Rahmen der Entscheidungsfindung, 2) eine qualitative Studie zur Exploration von relevanten Einflussfaktoren auf die Entscheidungsfähigkeit und Anforderungen an die Intervention, sowie 3) ethische und rechtliche Analysen von Anforderungen  an Hilfsmittel zur Unterstützung des Informed Consent durchgeführt. Im Anschluss wird durch Bündelung der verschiedenen Evidence und Perspektiven im Rahmen eines Workshops mit Fachexpert*innen sowie Patient*innen und Angehörigen eine Programmtheorie erstellt. Aus dieser geht im Folgenden die neue Intervention hervor. Es wird eine Vorher-Nachher Studie zur Evaluation der klinischen Effekte als auch der Prozessevaluation und Machbarkeit durchgeführt.

Projektlaufzeit: 1. Juli 2022 bis 30. Juni 2025

Das Projekt wird durch Forscher*innen aus den Bereichen Ethik, Medizin, Pflege, Psychologie, Recht und Soziologie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und der Technischen Universität München durchgeführt