Wie spricht man über Sexualität? Medizinstudierende trainieren Kommunikation über sensible Themen
Etwa neun Prozent aller Paare mit Kinderwunsch gelten als unfruchtbar, für die betroffenen Paare keine leichte Situation. „Um ihnen mit einer reproduktionsmedizinischen Therapie helfen zu können, ist unter andrem eine Sexual-Anamnese und sensible Begleitung sehr wichtig, denn von den Paaren, für die eine sogenannte künstliche Befruchtung in Frage kommen, nehmen zehn Prozent diese letztlich nicht wahr. Das liegt unter anderem daran, dass die psychische Belastung als zu groß empfunden wird“, sagt Privatdozent Dr. Gregor Seliger, Oberarzt in der Kinderwunschsprechstunde des Zentrums für Reproduktionsmedizin und Andrologie des Universitätsklinikum Halle (Saale).
Um angehende Ärztinnen und Ärzte auf solche sensiblen Gesprächssituationen vorzubereiten, die diagnostischen Möglichkeiten in der Kinderwunschambulanz aufzuzeigen und ihnen reproduktionsbiologische Labormethoden vorzustellen, haben Seliger, seine Kollegin Oberärztin Dr. Petra Kaltwaßer und der Reproduktionsbiologe Dr. Thomas Greither sowie das Team um Dr. Dietrich Stoevesandt und Clemens Ludwig vom Dorothea Erxleben Lernzentrum Halle (DELH) das „Ambulanzpraktikum Reproduktionsmedizin“ für Medizinstudierende der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg entwickelt und in der Vergangenheit regelmäßig angeboten. Vor dem Hintergrund der aktuellen Pandemiesituation wurde das Konzept komplett überarbeitet und völlig neu ohne direkten Patientenkontakt ausgestaltet.
Kürzlich nahmen die ersten 15 Studierenden des 10. Semesters am Praktikum teil. „Wir haben diesen Examenskandidatinnen und -kandidaten trotz der Corona-Restriktionen eine Lehrveranstaltung auf höchstem Niveau anbieten können. Den Patientenkontakt, der derzeit nicht direkt möglich ist, haben wir per Double-Robotics-Telepräsenzroboter virtuell hergestellt. Es wurden Untersuchungen am Modell ermöglicht und mit Schauspielpatienten die sensiblen Gesprächssituationen trainiert“, so Stoevesandt, Leiter des DELH.
Zukünftig könnten, aufgrund der sehr guten Erfahrung mit diesem ersten Durchgang, auch weiterhin Bestandteile des Praktikums zunächst in der geschützten Umgebung des DELH stattfinden, bevor der Kontakt - wenn es die Pandemiesituation zulässt - auch mit realen Patientinnen und Patienten wieder möglich wird. „Die Studierenden erhalten vom Schauspielpatientenpaar eine direkte Rückmeldung, die ihnen hilft, ihre Kommunikationsstrategien zu verbessern und zu trainieren. Außerdem ist bei diesen Übungen ein Psychologe oder eine Psychologin anwesend, die aus deren Perspektive Anregungen für eine sensible Kommunikation mit Patientinnen und Patienten liefern kann“, erklärt Seliger den Ansatz.
Das Ambulanzpraktikum wird auch in Zukunft für Medizinstudierende ab dem 7. Semester angeboten. „Die Anwendung innovativer Lehrmethoden wird zu einer Vorbedingung, um in Pandemie-Situationen weiterhin akademische Ausbildung auf hohem Niveau anbieten zu können“, ergänzt Stoevesandt.