Systematische Auswertung von Studien unter hallescher Leitung zeigt Forschungsbedarf zur Wirksamkeit klinischer Ethikberatung auf
In vielen Krankenhäusern besteht inzwischen die Möglichkeit einer klinischen Ethikberatung. Ziel dieser Beratungen ist es, Patientinnen und Patienten, Angehörige und Mitglieder des Behandlungsteams bei ethisch schwierigen Entscheidungen zu unterstützen. Die Faktoren und die Auswirkungen dieser Beratung auf die klinische Praxis wurden bislang jedoch wenig untersucht. Ein interdisziplinäres Forscherteam unter Leitung des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg hat sich dieses Themenkomplexes angenommen. Das Fazit der Forschenden: Während einzelne Studien zwar positive Auswirkungen auf die Zufriedenheit mit der Patientenversorgung und eine Unterstützung der Konsensfindung in schwierigen Entscheidungssituationen zeigen, reicht der Forschungsstand zur Wirksamkeit von Ethikberatung nicht aus. Die Übersichtsarbeit wurde gerade als Cochrane Review veröffentlicht (https://www.cochranelibrary.com/cdsr/doi/10.1002/14651858.CD012636.pub2/epdf/abstract). Gleichzeitig ist zudem eine weitere Publikation zu diesem Themenfeld im Journal „BMC Medical Ethics“ erschienen (DOI: https://doi.org/10.1186/s12910-019-0381-y).
An dem mehrjährigen, vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Forschungsprojekt waren neben Halle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Bochum, München und Amsterdam beteiligt. Die untersuchten Studien für die systematische Übersichtsarbeit (Cochrane Review) stammen sämtlich aus der Intensivmedizin. „Es besteht ein Mangel an qualitativ hochwertigen Studien zur Evaluation der Wirksamkeit“, sagt Stephan Nadolny, wissenschaftlicher Mitarbeiter am halleschen Institut für Geschichte und Ethik der Medizin, der die Forschungsarbeiten insbesondere methodisch unterstützt hat. „Für solche klinisch-ethischen Forschungsarbeiten ist eine enge Zusammenarbeit von Vertreterinnen und Vertretern der Medizinethik mit Wissenschaftlern der Gesundheitsforschung und weiteren Disziplinen erforderlich“, ergänzt Prof. Dr. Jan Schildmann, Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin, der die Forschungsarbeiten geleitet hat. Vergleichbare Kooperationen seien auch zukünftig erforderlich, damit der Beitrag klinischer Ethikberatung zur Qualität der Patientenversorgung besser bestimmt werden könne, als dies aktuell der Fall sei.
„Bereits bei den Vorarbeiten, die wir vor wenigen Tagen in der Fachzeitschrift BMC Medical Ethics publizieren konnten, stellte sich heraus, dass die Frage nach der Wirksamkeit von Ethikberatung auch im Lichte der unterschiedlichen Vorgehensweisen bei klinisch-ethischen Einzelfallberatungen beurteilt werden sollte. So gibt es Kliniken, in denen Ethikberater selbstständig aktiv werden, um ethische Konflikte zu identifizieren. In Deutschland ist eine verbreitete Form aber die vom Behandlungsteam angefragte Beratung“, so Schildmann. Nach seiner Einschätzung muss eine erfolgreiche klinische Ethikberatung sich im Vorgehen auch an die Bedürfnisse der Beteiligten in der klinischen Praxis anpassen. „Am Universitätsklinikum Halle bieten wir beispielsweise neben der ethischen Fallberatung auf Anfrage auch Ethikvisiten und wöchentliche Fallbesprechungen an.“ Wichtig für die Evaluationsforschung und auch für alle Beteiligten in der Praxis sei Transparenz hinsichtlich dessen, was Ethikberatung jeweils leisten könne und wo die Grenzen bestehen.