Puppen, Eimer mit Körpertemperatur und eine zischende gelbe Kiste: RESTART 2.0 startet mit Auftaktmessung für Entwicklung eines einheitlichen Bewertungssystems für Raumlufttechnik
Normalerweise sind die Puppen im Puppentheater in Halle die Hauptfiguren auf der Bühne. An diesem Dienstag im Oktober sind sie ebenfalls die Stars und haben eine wichtige Rolle, allerdings im Publikum. Sie „spielen“ die Gesellschaft von Messpuppen, schwarzen Eimern und einer gelben Kiste in der Auftaktmessung des Forschungsprojektes „RESTART 2.0“. Es handelt sich um ein Folgeprojekt des Konzert-Experiments RESTART-19 der Universitätsmedizin Halle mit Tim Bendzko. Während RESTART-19 die Kontaktmessung, den Nutzen von Hygienekonzepte und die Messung der Aerosolbelastung in der Quarterback-Immobilien-Arena – und daraus abgeleitet das Risiko von Indoor-Großveranstaltungen für eine ganze Region – zum Ziel hatte, geht es bei RESTART 2.0 vor allem um die Aerosolkonzentration und die Lüftungstechnik. Anhand der Daten soll ein Bewertungssystem für Veranstaltungsräume entwickelt werden.
Dieses kann als Basis für die Ermittlung des Ansteckungsrisikos in Veranstaltungsstätten, zum Beispiel mit dem Corona-Virus, dienen. „Es wäre aber auch auf Influenza-Viren anwendbar“, sagt Dr. Stefan Moritz, Studienleiter der beiden RESTART-Projekte und Leiter der Klinischen Infektiologie an der Universitätsmedizin Halle. Abgeleitet davon, können Betreiberinnen und Betreiber beispielsweise, wenn es notwendig für eine Vollauslastung ist, Lüftungstechnik nachrüsten. „Es geht um die Fragen: Was ist eine gute Lüftung, was ist eine schlechte Lüftung und welche Auswirkung hat sie auf die Verbreitung von Viren? Deswegen haben wir im Projekt Mikrobiologen, Strömungsmechaniker und Infektiologen zusammengenommen, um dem auf den Grund zu gehen. Denn nach wie vor gibt es Ansteckungen und Hygieneregelungen, aber das Ziel muss die Vollauslastung der Stätten sein“, so Stefan Moritz. Nur dann könnten die Stätten wieder wirtschaftlich arbeiten. Die Messungen zur Ansteckungsgefahr sollen im ersten Quartal 2022 beendet sein.
Doch zurück zu den Puppen. Sowohl die des Puppentheaters als auch die des Forschungsteams. Sie füllen zusammen mit etwa 100 schwarzen Eimern und einer gelben Kiste den Zuschauerraum. Was sich kurios liest und mindestens genauso kurios aussieht, hat einen Zweck. Die Eimer sind beheizt auf 40 Grad Celsius und imitieren damit einen Menschen mit seiner ausstrahlenden Körpertemperatur. Denn diese beeinflusst die Raumthermik und somit auch die Verteilung der Aerosole. Die gelbe Kiste simuliert einen Menschen, der zum Beispiel mit dem Corona-Virus infiziert ist. Das Gerät, im Fachjargon Emittent genannt, stößt zischend weißen „Atemluft“-Dampf mit gelösten Salzen aus, den die Messpuppen – weiße Puppen in weißen T-Shirts, Absorber genannt – einatmen. Gemessen wird die Salzkonzentration, die bei den Puppen ankommt.
Im Puppentheater, das ein vergleichsweise kleiner Raum ist, hat die erste Messung für RESTART 2.0 stattgefunden. Insgesamt werden an drei Tagen zehn Mess-Szenarien durchgeführt und dabei Emittent wie Absorber immer wieder neu positioniert sowie halbe und volle Belegung des Puppentheaters nachgestellt. Hinzu kommen Computersimulationen. In den kommenden Wochen sollen Messungen in neun weiteren Veranstaltungsstätten unterschiedlicher Größe und belüftungstechnischer Ausstattung stattfinden: drei in Halle, so zum Beispiel im Steintor Varieté, eine in Leipzig in der bereits RESTART-erfahrenen Quarterback-Immobilien-Arena und fünf Messungen in Berlin, unter anderem im Friedrichstadt-Palast. Darunter sind auch einige wenige, die bisher über keine Belüftungstechnik in den Veranstaltungsräumen verfügen, aber vergleichsweise groß sind. „Da sind wir auch schon auf die Messungen gespannt“, so Moritz.
Berlin als „Mess-Station“ ist auch deshalb geplant, weil am Projekt RESTART 2.0 neben der Universitätsmedizin Halle als Projektleitung Expertinnen und Experten für Strömungsmechanik und Belüftungstechnik sowie für Biofilme von der Technischen Universität Berlin und der Charité – Universitätsmedizin Berlin beteiligt sind.
RESTART 2.0 wird knapp zur Hälfte mit 300.000 Euro vom Wissenschaftsministerium des Landes Sachsen-Anhalt, mit 150.000 von der Staatsministerin für Kultur und Medien der Bundesregierung sowie rund 200.000 Euro Eigenmitteln der TU Berlin gefördert.