Wie mit Anfragen zum assistierten Suizid umgehen? „Forschungsnetzwerk Suizidassistenz“ nimmt Arbeit auf

Eine ältere Frau sitzt frontal zur Kamera an einem Tisch. Sie blickt in das Gesicht einer anderen Frau mit Brille, mit der sie sich unterhält. Auf dem Tisch sind unscharf eine Medikamentenbox, ein Klemmbrett und Unterlagen zu erkennen.

Welche Art von Aufklärung und Beratung sollen betroffene Menschen erhalten? (Symbolbild)

Die Bitten um Suizidassistenz nehmen in Deutschland zu. Sie werfen schwierige Fragen auf: Welche Art von Aufklärung und Beratung sollen Menschen erhalten, die ihren Todeswunsch äußern, und unter welchen Voraussetzungen sollte eine Assistenz bei der Selbsttötung überhaupt erwogen werden? Zu diesen und weiteren Fragen will ein Forschungsnetzwerk unter Federführung der Universitätsmedizin Halle fundierte Handlungsoptionen aufzeigen. Das Vorhaben wird durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.

„Die Assistenz zur Selbsttötung ist angesichts der Tragweite für die Betroffenen, ihre Angehörigen, aber auch für die Gesellschaft ein kontrovers diskutiertes Thema, das tiefgreifende ethische und darüber hinaus gehende Fragen aufwirft. Bislang fehlt es weitgehend an wissenschaftlich gestützten Verfahren, wie mit Anfragen nach Suizidassistenz, die in ganz unterschiedlichen Lebenssituationen und aus sehr verschiedenen Motiven entstehen, verantwortungsvoll umgegangen werden kann“, erklärt Prof. Dr. Jan Schildmann, Sprecher des Forschungsnetzwerks Suizidassistenz und Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin an der Universitätsmedizin Halle.

Drängende Fragen aus der Praxis

Es stellen sich drängende Fragen nach den Aufgaben, die Angehörige der Gesundheitsberufe dabei übernehmen und welche Rollen sie explizit nicht einnehmen sollen. Welche Informationen brauchen Menschen, die einen assistierten Suizid in Erwägung ziehen, und wie kann sichergestellt werden, dass sie ausreichend über andere Möglichkeiten informiert sind? Wie kann man feststellen, ob eine Person wirklich in der Lage ist, eine solche Entscheidung selbstbestimmt und eigenverantwortlich zu treffen? Welche Standards sollten für Aufklärungs- und Beratungsgespräche gelten und wie sollten diese Gespräche dokumentiert werden?

„Der häufig stark gemachte Gegensatz von Suizidprävention und Suizidassistenz verhindert eine konstruktive Diskussion über einen verantwortbaren Umgang mit den vielschichtigen Anfragen nach Suizidassistenz. Im Ringen um eine angemessene Praxis ist es wichtig, dass wir Menschen aus unterschiedlichen Berufen und mit verschiedenen Perspektiven und Positionen zusammenbringen. Deshalb freue ich mich, dass wir jetzt mit renommierten Wissenschaftler:innen aus Deutschland sowie weiteren Gästen aus dem In- und Ausland die Arbeit im Netzwerk aufnehmen können“, so der Internist und Medizinethiker Schildmann.

Die Arbeit im wissenschaftlichen Netzwerk knüpft an eine Reihe aktueller bundesweiter Initiativen zu diesem Thema an. Dazu gehört eine laufende Analyse, für die in Zusammenarbeit mit mehreren Landesärztekammern im Sommer dieses Jahres Daten zur aktuellen Handlungspraxis am Lebensende erhoben wurden. Die Daten werden einer mit gleicher Methode durchgeführten Studie von 2013 gegenübergestellt, so dass erstmals für Deutschland Entwicklungen nachgezeichnet werden können. Darüber hinaus ist jüngst der Startschuss für die Entwicklung einer nationalen Leitlinie für Angehörige verschiedener Gesundheitsberufe gefallen, die demnächst auch von einem Online-Berichts- und Lernsystem über die Erfahrungen in der Praxis begleitet werden soll. Fortbildungen zum Thema sowie die geplante Vernetzung von Akteuren aus der Praxis der Suizidprävention, Pflege, Palliativversorgung und Suizidassistenz in Sachsen-Anhalt ergänzen die wissenschaftliche Arbeit.

Neben Prof. Dr. Jan Schildmann als Sprecher und Leiter des Netzwerks sind Prof. Dr. Gabriele Meyer (Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaften, Universitätsmedizin Halle), Prof. Dr. Claudia Bozzaro (Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin, Universität Münster) und Dr. Jakov Gather (Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Präventivmedizin, LWL-Universitätsklinikum, Ruhr-Universität Bochum) koordinierende Mitglieder des Forschungsnetzwerks Suizidassistenz.

Weitere Informationen zum Netzwerk sind online verfügbar unter www.forschungsnetzwerk-suizidassistenz.de.

Hintergrund

2023 berichteten Sterbehilfeorganisationen über knapp 900 Fälle, die tatsächliche Anzahl liegt allerdings womöglich deutlich höher. Der Anstieg steht im Zusammenhang mit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2020, wonach freiverantwortlich handelnde Menschen die rechtliche Möglichkeit haben, Hilfe bei der Selbsttötung in Anspruch zu nehmen.

Informationen zur nationalen Leitlinie "Umgang mit Anfragen nach Assistenz bei der Selbsttötung": www.awmf.org/service/awmf-aktuell/umgang-mit-anfragen-nach-assistenz-bei-der-selbsttoetung

Studie zur ärztliche Handlungspraxis am Lebensende (2013/14): http://doi.org/10.1055/s-0034-1387410