Fasten und trotzdem essen wie im Schlaraffenland: Bestimmte Genmutationen täuschen Hungerstadium bei Fadenwürmern vor

Fasten kann bei vielen Lebewesen positive Effekte hervorrufen und unter anderem das Leben verlängern. Doch auch ohne Fasten können aufgrund bestimmter Genmutationen dieselben positiven Effekte hervorgerufen und die Lebensspanne verlängert werden. Der Wissenschaftler und Privatdozent Dr. Thorsten Pfirrmann vom Institut für Physiologische Chemie der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg hat mit Forschenden aus Jena, Berkeley und Freiburg vier neue Gerontogene entdeckt und biochemisch charakterisiert, die dafür verantwortlich sind. Am Beispiel von Nematoden (Fadenwürmer) haben sie herausgefunden, dass sich deren Lebenszeit um immerhin ein Drittel verlängert, wenn dem Organismus ein Hungerstadium durch bestimmte Genmutationen vorgetäuscht wird. Ihre neuen Erkenntnisse sind gerade im Fachmagazin „Autophagy“ publiziert worden (https://doi.org/10.1080/15548627.2019.1695399).

„Eine genaue Untersuchung der biochemischen Veränderung in Zellen mit gezielt eingeführten Mutationen in den neuen Gerontogenen ergab verblüffende Ergebnisse: Wir können dafür sorgen, dass Zellen in den Hungermetabolismus übergehen, obwohl sie Nährstoffe zur Verfügung haben wie im Schlaraffenland und diese auch verstoffwechseln können. Dies könnte bei der Behandlung von Adipositas, Typ-2-Diabetes und ähnlichen Stoffwechselerkrankungen ganz neue Behandlungsansätze ermöglichen“, erklärt Pfirrmann.

Er forscht schwerpunktmäßig zum Ubiquitin-System. Dieses übernimmt unter anderem eine Regulationsfunktion, indem es nicht benötigte Proteine markiert und dem Abbau zuführt. Bei den gefundenen Gerontogenen handelt es sich um die Gene eines evolutionär konservierten Protein-Komplexes, der seine Zusammensetzung im Laufe der Evolution kaum verändert hat und in allen höheren Zellen und Organismen zu finden ist. Der sogenannte GID-Komplex ist ein wichtiger Teil des Ubiquitin-Systems und reguliert in der Bäckerhefe den Glukose-Stoffwechsel. „Für uns war es sehr erstaunlich, dass der GID-Komplex auch in Säugetieren eine Funktion bei der Stoffwechselregulation hat und selbst diese Funktion, wenn auch komplexer, evolutionär erhalten geblieben ist“, sagt Pfirrmann.

Eine wichtige Komponente der zugrundeliegenden Stoffwechsel-Regulation ist die ebenfalls evolutionär konservierte AMP-aktivierte Proteinkinase (AMPK), die den Energiestatus der Zelle ständig misst und den Metabolismus entsprechend reguliert. AMP ist vereinfacht gesagt eine Maßeinheit für die Energiereserven einer Zelle und nimmt dann zu, wenn die zellulären Energiereserven niedrig sind und die Zelle „hungert“.

Die AMPK wird durch eine Erhöhung der AMP-Konzentration aktiviert und initiiert daraufhin eine Veränderung des Energiestoffwechsels um Energie zu sparen und um neue Energiereserven anzuzapfen. Diese Prozesse werden beim Fasten aber auch von bestimmten, meist pflanzliche Substanzen wie Reservatrol aus Rotwein und Metformin, aber eben auch durch einen Funktionsverlust des GID-Komplexes induziert.

Diese Stoffwechselveränderungen werden für die lebensverlängernden Effekte verantwortlich gemacht. „Der Verlust der Funktion des GID-Komplexes führt zu einer dauerhaften Aktivierung der AMPK, auch wenn genügend Energie vorhanden ist, und gaukelt dadurch der Zelle und dem Organismus Hungerung vor. Damit haben wir möglicherweise neue pharmakologische Angriffspunkte gefunden, um in Zukunft mit GID-Komplex-Inhibitoren auf die AMPK-Aktivität einzugreifen“, erklärt Pfirrmann.