Ethische Verantwortung in der modernen Krebsmedizin: Deutsche Krebshilfe fördert vier hallesche Projekte
Die Behandlung von Krebserkrankungen beinhaltet nicht nur medizinische Verfahren wie Operationen, Bestrahlungen und Chemo- oder Immuntherapien, sondern ist eingebettet in ein komplexes Feld aus Wissensvermittlung, ethischen, rechtlichen, sozialen und ökonomischen Fragen im Versorgungsalltag – sowohl für die Behandelnden als auch für die Betroffenen. Die Deutsche Krebshilfe fördert für jeweils drei Jahre vier Projekte unter Leitung bzw. mit Beteiligung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universitätsmedizin Halle und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Die halleschen Projekte werden mit insgesamt 1,12 Millionen Euro gefördert.
Unter Leitung von Dr. Sara Lückmann vom Institut für Medizinische Epidemiologie, Biometrie und Informatik der Universitätsmedizin Halle geht ein hallesches Team des Zentrums Medizin – Ethik – Recht (MER), der Versorgungsforschung und der Medizin in einer Studie der Frage zu ökonomischen Einflüssen auf Therapieentscheidungen nach (Projekt: Exploration des Spannungsfeldes 'Patient und Ökonomie' in der Onkologie - Eine Mixed-Method-Studie zu ökonomischen Einflüssen auf Therapieentscheidungen). „Für onkologische Patient:innen ist es wichtig zu wissen, ob Therapieempfehlungen teilweise ökonomisch beeinflusst sind, weil es dann umso wichtiger wird, sich selbst in die Therapieentscheidungen stärker einzubringen“, so Lückmann. Mit zunehmendem wirtschaftlichen Druck im Gesundheitswesen manifestiere sich vor allem im stationären Sektor für Ärzt:innen ein Konflikt zwischen medizinisch-ethischen Anforderungen der Patient:innen und betriebswirtschaftlichen Zielen aufgrund der Vergütungsstruktur im Krankenhaus und der Informationsasymmetrie zwischen Leistungserbringenden, Patient:innen und Kostenträgern. Für die onkologische Versorgung gebe es bislang jedoch keine Studien, die eine ökonomische Beeinflussung von Therapieentscheidungen untersucht haben oder die Sicht der Ärzt:innen in der Onkologie auf den wahrgenommenen ökonomischen Druck auf Entscheidungen explorieren
Der Medizinethiker Prof. Dr. Jan Schildmann, Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin der Universitätsmedizin Halle leitet ein Projektteam von Expert:innen aus Medizinrecht, Medizinsoziologie, Onkologie und Vertreter:innen für Patient:innen, das Unterstützungsmaßnahmen für die Aufklärung über Krebstherapien entwickeln will. (Projekt: Unterstützung der Entscheidungsfähigkeit in onkologischen Grenzsituationen). „Im klinischen Alltag kommt es gelegentlich vor, dass das Behandlungsteam unsicher ist, ob die rechtlichen Anforderungen an eine gültige informierte Einwilligung wirklich erfüllt sind. Insbesondere in psychischen Belastungssituationen, aber auch aufgrund sozialer Faktoren, wie beispielsweise niedriger Bildungsgrad, kann die Entscheidungsfähigkeit von Patient:innen beeinträchtigt sein“, so Schildmann. Ziel des Vorhabens ist die Entwicklung und Testung von Maßnahmen zur Unterstützung der Entscheidungsfindung, insbesondere bei diesbezüglich vulnerablen Patient:innen.
Schildmann konnte im Förderschwerpunkt der Deutschen Krebshilfe noch ein weiteres Vorhaben zur ökonomischen Anreizen in der Medizin erfolgreich mitbeantragen, dessen Leitung am Universitätsklinikum Heidelberg angesiedelt ist (Projekt: Kartierung und Umgang mit ökonomischen Einflussfaktoren bei der Behandlung von Krebspatienten (ELABORATE) – Ein Verbundprojekt mit Medizinethik, Onkologie und Gesundheitsökonomie). Dieses hat zum Ziel, nach mehreren Zwischenschritten, empirisch und normativ begründete Praxisempfehlungen für die angemessene Handhabung ökonomischer Einflüsse bei Entscheidungen über Diagnostik und Therapie in der Onkologie auf Mikro-, Meso- und Makroebene zu entwickeln.
Privatdozentin Dr. Heike Schmidt leitet des Weiteren ein Projekt, das sich mit der partizipativen Entscheidungsfindung in der geriatrischen Onkologie beschäftigt. An dem Vorhaben sind Pflegewissenschaftlerinnen und Onkolog:innen der halleschen Universitätsmedizin, der Charité - Universitätsmedizin Berlin und des Universitätsklinikums Erlangen, weiterer hallescher Krankenhäuser sowie des MER der Universität Halle beteiligt. „Die Krebstherapie von sehr alten Menschen ist von vielen individuellen Faktoren abhängig. Aufgrund dieser Unterschiede können Therapieempfehlungen aktueller Leitlinien nur bedingt auf einzelne Personen übertragen werden, wodurch die ethisch und rechtlich gebotene gemeinsame Entscheidungsfindung erschwert ist“, erläutert Schmidt. Besonders bei reduzierter Funktionalität, starker Belastung, wenig Erfahrung mit gesundheitlichen Fragen und Themen, fortgeschrittener Erkrankung oder Vorbehandlungen stelle die Umsetzung ethisch und rechtlich verantwortungsvoller gemeinsamer (partizipativer) Entscheidungsfindung für die Beteiligten eine große Herausforderung dar. Ziel des Vorhabens sei daher die Förderung ethisch und rechtlich verantwortungsvoller, rechtssicherer informierter partizipativer Entscheidungsfindung im klinischen Alltag bei betagten Patient:innen mit komplexen Gesundheitsproblemen, sowohl für die Betroffenen als auch für deren Angehörige.
Die Vernetzung der Universitätsmedizin Halle mit ihrem Krukenberg-Krebszentrum (KKH) und ihrem Profilzentrum Gesundheitswissenschaften (PZG) mit dem Interdisziplinären Wissenschaftlichen Zentrum Medizin – Ethik – Recht seien ideal, um diese ethisch relevanten Fragen an die gesundheitliche Versorgung in der Onkologie stellen zu können, sind sich die Projektteams einig.
Mit dem Ziel, ethische Herausforderungen der modernen Krebsmedizin wissenschaftlich zu untersuchen, zu definieren und Lösungskonzepte zu entwickeln, hat die Deutsche Krebshilfe das Förderungsschwerpunktprogramm ‚Ethische Verantwortung in der modernen Krebsmedizin‘ initiiert. Für insgesamt zehn Projekte, vier davon an der Universitätsmedizin und Universität Halle bzw. mit hallescher Beteiligung, stellt die Deutsche Krebshilfe 3,8 Millionen Euro bereit.