Schwerstkranke schnell und sicher versorgen: Das Team der Zentralen Notaufnahme übt regelmäßig den Einsatz im Schockraum
„Um 8:50 Uhr kommt eine Patientin, 63 Jahre, starke Atemnot, Husten, Fieber und hoher Sauerstoffbedarf.“ Gleich nach dem Anruf des Rettungsdienstes macht sich das Team der Zentralen Notaufnahme (ZNA) der Universitätsmedizin Halle startklar. Infusionen werden vorbereitet, Medikationen bereitgelegt, Schutzausrüstung angezogen. Und als die Notfallsanitäter zehn Minuten später mit Frau Schmidt im Schockraum der ZNA eintreffen, wissen alle Beteiligten, was zu tun ist. Routiniert wird die Patientin umgelagert, bekommt Sauerstoff und Unterstützung über ein Beatmungsgerät. Infusionen werden gelegt, Schläuche und Kabel angeschlossen. Zwei Ärzt:innen und zwei Pflegefachkräfte arbeiten hochkonzentriert und Hand in Hand. Gemeinsam können sie so den Zustand der Patientin schnell stabilisieren.
So eingespielt die Arbeit wirkt, ist die Situation für die meisten Beteiligten trotzdem neu: Denn „Frau Schmidt“ ist kein Mensch aus Fleisch und Blut, sondern eine lebensgroße Puppe für medizinische Simulationen. Die Sanitäter sind Mitarbeiter des Simulationszentrums des Dorothea Erxleben Lernzentrums Halle (DELH). Und der Notfall ist ein geplantes Schockraum-Training.
Im Schockraum werden schwerstkranke oder schwerstverletzte Patient:innen bei Ankunft in der ZNA erstversorgt. Damit im Ernstfall jeder Handgriff sitzt, führt das medizinische Personal regelmäßige Übungen durch.
In der ZNA der Universitätsmedizin Halle unter der ärztlichen Leitung von Dipl.-Med. Mroawan Amoury finden die Trainings vor allem mit Blick auf das sogenannte Crew-Ressource-Management (CRM) statt, einem Schulungskonzept für bessere Teamarbeit. Ursprünglich für die Luftfahrt entwickelt, wird CRM inzwischen auch zunehmend in der Medizin angewandt. „Die meisten Fehler, die passieren, sind einfach menschlich“, erklärt Oberarzt Dr. Tim Pottel, der die Übungen koordiniert. „Ungenaue Kommunikation, unklare Arbeitsteilung, Fixierungsfehler oder selbst gemachter Zeitdruck sind typische Fehlerquellen. Unsere Schockraum-Trainings zielen darauf ab, genau diese Faktoren zu trainieren.“
Klare Kommunikation ist das A und O
Bevor die Simulation startet, erklärt Oberarzt Pottel den Teilnehmenden die Hintergründe der Schulung. „Es geht nicht darum, die fachliche Arbeit einzelner Kolleg:innen zu bewerten, sondern die Zusammenarbeit im Team besser zu strukturieren. Die Leistung in der Simulation entspricht nicht der Leistung am Patienten“, betont er. Es gibt Hinweise für gute Kommunikation und zur Aufgabenteilung. Wichtig ist etwa, dass ein Teamleiter benannt wird und die Aufgaben in der Gruppe klar verteilt sind. Zudem sollten alle Beteiligten jederzeit um ein kurzes „Team-Time-out“ bitten können, um die Situation nochmals zu überdenken, die nächsten Schritte festzulegen und mögliche Einwände zu äußern. „Das ist extrem wichtig, denn zu schnelles und unreflektiertes Handeln führt oft zu Fehlentscheidungen“, erläutert Pottel.
Grundlage für jede Simulation sind reale Notfälle, an deren Beispiel sich bestimmte Aspekte der Zusammenarbeit im Team realitätsnah üben lassen. Das Besondere: Es handelt sich dabei um kritisch kranke, nicht-traumatologische Patient:innen. Es liegen also keine Verletzungen vor, sondern etwa Probleme mit den Atemwegen, Herz-Kreislauf-Stillstand oder eine Bewusstlosigkeit. „Nicht-traumatologische Schockraum-Patient:innen sind in unserer Notaufnahme vier- bis fünfmal so häufig wie traumatologische“, sagt Pottel. Dennoch gibt es erst seit zwei Jahren erste Empfehlungen in Fachartikeln und -gesellschaften dafür, wie im nicht-traumatologischen Schockraum zu verfahren sei. Das Team der ZNA reagierte auf diese neuen Empfehlungen prompt: „Wir haben schon 2021 die lokalen Gegebenheiten angepasst und einen hausinternen Ablaufplan für den nicht-traumatologischen Schockraum entwickelt“, sagt Pottel. Dazu gehören auch regelmäßige Trainings, die 2022 zusammen mit dem DELH umgesetzt wurden.
Seitdem sind die Übungen im 14-Tage-Turnus fester Bestandteil der Arbeit im Team. „Wir achten darauf, dass in jeder Gruppe erfahrene Mitarbeitende der ZNA zusammenkommen mit Rotanden aus den internistischen Kliniken der UMH oder Kolleg:innen, die noch keine intensivmedizinische Erfahrung gemacht haben“, erklärt Pottel. Ziel sei es, dass alle Beschäftigten der Notaufnahme zweimal pro Jahr das Training absolvieren.
Die Simulations-Puppe imitiert Puls, Atmung oder auch starkes Schwitzen
Verantwortlich für die technische Umsetzung des Schockraum-Trainings sind Mitarbeitende des DELH. Anselm Linke steuert die Puppe während der Simulation. „Die Puppe versucht viel von dem darzustellen, was der Mensch kann“, erläutert er. Dazu gehören beispielsweise Puls, Atemfrequenz, Gesichtsfarbe oder auch starkes Schwitzen. Sie kann intubiert oder defibrilliert werden, Infusionen und Spritzen bekommen – „aber bitte nur mit Kochsalzlösung“. Anselm Linke und Dr. Tim Pottel arbeiten bei der Planung der Szenarien eng zusammen und stimmen sich miteinander ab.
Hauptsächlich werden die zwei Simulationspuppen des DELH in der studentischen Lehre eingesetzt sowie bei Bedarf in den Kliniken der Universitätsmedizin Halle. Dass die ZNA in so enger Taktung Trainings durchführt, ist an der Universitätsmedizin Halle bislang recht ungewöhnlich. „Aber der Bedarf ist in fast allen medizinischen Bereichen vorhanden, denn alle werden auch mit kritischen Situationen konfrontiert“, sagt Matthias Jendsch, Koordinator des Simulationszentrums im DELH.
Im Anschluss an die Simulation findet eine ausführliche Nachbesprechung statt. Das Team, das „Frau Schmidt“ erstversorgt hat, wird für seine „verdammt starke Leistung“ gelobt, Kritik gibt es kaum. Und auch die Teilnehmenden geben Feedback und erzählen, wie sie die Simulation empfunden haben. Die Aufteilung in feste Teams sei von Vorteil gewesen. Auch die klare Kommunikation fanden viele hilfreich und möchten die Empfehlungen in ihrem Arbeitsalltag umsetzen. Nach einer kurzen Pause geht es mit einer zweiten Simulation weiter. Und wieder muss das Team trainieren, in kurzer Zeit Entscheidungen zu treffen, die im Ernstfall Leben retten sollen.